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Die Dessauer Meisterhäuser
bilden zusammen mit dem Bauhausgebäude den Höhepunkt im Schaffen des
Architekten Walter Gropius und zählen damit zu den wichtigsten Bauten der
Klassischen Moderne.
Die UNESCO, auf deren Liste des Weltkulturerbes die Meisterhäuser unter der
Überschrift „Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar und Dessau“ seit 1996
geführt werden, würdigt das Ensemble von „unprätentiösen funktionalen
Bauten“, die „als Modellbauspiele eines in den Grundrissen dieselben
Elemente nutzenden Grundtyps von Wohnhaus“ wirken. Die Tatsache, dass in
diesen Häusern einige der herausragendsten Künstlerpersönlichkeiten des 20.
Jahrhunderts gelebt und gearbeitet haben, war ein weiteres Kriterium für die
Erhebung zum Weltkulturerbe. |
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Haus Muche 1927: Lou
Scheper und Oskar Schlemmer (oben), Georg Muche und Lucia Moholy
(Mitte), Hinnerk Scheper mit Tochter und Natalie Meyer-Herking, die Frau
von Hannes Meyer, mit ihren Töchtern |
Mit diesen Attributen ist jedoch zugleich
ein spannender Widerspruch zwischen der vom Architekten behaupteten
Funktionalität einer seriellen Ästhetik und der aufwändigen, von Haus zu
Haus unterschiedlichen Inneneinrichtung exklusiver Künstlerwelten
umrissen. Denn anders als jene Wohnhäuser, die im fremden Auftrag
entstanden, sollten die Meisterhäuser ihrem Schöpfer und seinen engsten
Mitstreitern als Wohnung dienen - ein nicht nur für die Moderne in
dieser Form einmaliger Fall.
Und so geschlossen, wie es im oberflächlichen Rückblick erscheinen mag,
war das Bauhaus weder als Konzept einer neuen Schule noch als
Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden.
Trotz der gemeinsamen Orientierung auf die Zukunft waren sie über den
Weg dorthin uneins. Der Richtungsstreit reichte von esoterischen
Elementen in den Lehren und Konzepten eines Wassily Kandinsky bis hin
zur konstruktivistischen Technikbegeisterung László Moholy-Nagys. Auch
diese Konflikte haben das Wohnen und Arbeiten in dieser Künstlerkolonie
der Moderne geprägt.
Nachdem die Nationalsozialisten den Auszug der Bauhäusler erzwungen
hatten, begann nach 1932 das Schicksal der Meisterhäuser: Wohnort von
führenden Mitarbeitern der Junkers-Flugzeugwerke, Zerstörungen durch
Bombentreffer 1945. in der DDR-Zeit wenig fundierte Um- und Neubauten
und jahrzehntelange Vernachlässigung, schließlich von 1994 bis 2000
Restaurierungen, die sich vor allem am bauzeitlichen Konzept
orientierten. Die damit auch entstandenen Diskrepanzen zwischen
ursprünglicher Integrität und der Tilgung der Spuren nachfolgender
Zeitschichten führten ab 2002 in eine jahrelange Debatte um den Kunst-
und Denkmalwert. |
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Das „unscharf
rekonstruierte“ Direktorenhaus von Bruno Fioretti Marquez, Mai 2014 |
2006 entwickelte die Stadt Dessau-Roßlau
ein erstes Konzept für einen Wiederaufbau der Häuser Gropius und Moholy-Nagy
samt Umfassungsmauer und Trinkhalle von Mies van der Rohe.
Erst vier Jahre später sollte mit dem Entwurf der Berliner Architekten
Bruno Fioretti Marquez die Frage beantwortet werden, wie eine Verbindung
von historischen Bauteilen mit zeitgenössischen Architekturkommentaren
gelingen kann. Die Strategie der Vergegenwärtigung des Vergangenen macht
nun das fragmentierte bauliche Kunstwerk durch Ergänzungen wieder
lesbar, ohne der Versuchung des Kopierens oder inszenierter Brüche zu
erliegen. Mit der „unscharfen Rekonstruktion“ ist das Ensemble wieder
vollständig.
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Das Doppelhaus
Muche/Schlemmer vom Dach des Hauses Feininger gesehen, 1927 |
Im Jahr 1925 verließ das „Staatliche
Bauhaus in Weimar“ nach sechs Jahren seinen Gründungsort und wurde in
Dessau im Oktober 1926 zur „Hochschule für Gestaltung“. In den
Verhandlungen zwischen Bauhausdirektor
Walter Gropius und der
Stadt Dessau war mit Unterstützung des Oberbürgermeisters Fritz Hesse
bereits zuvor der Neubau eines Schulgebäudes sowie einer Reihe von
Wohnhäusern für die Bauhausmeister zugesichert worden. Im städtischen
Auftrag wurden vom Büro Gropius daher zwischen 1925 bis 1926
gleichzeitig mit dem Bauhausgebäude die Villen für die sieben Meister
des Bauhauses errichtet: ein Einzelhaus (ohne Atelier) für den Direktor
und drei Doppelhäuser mit Ateliers, in die als Erstmieter
László Moholy-Nagy
und Lyonel Feininger,
Georg Muche und
Oskar Schlemmer sowie
Wassily Kandinsky
und Paul Klee
zogen. So demonstrierten nicht nur das Schulgebäude, sondern ebenso die
Wohnbauten der prominentesten Bauhausmeister alle Aspekte eines modernen
Lebens - ganz anders als zuvor in Weimar, wo die Meister in über die
Stadt verstreuten Mietwohnungen gelebt hatten. Der Begriff
Künstlerkolonie, der z. B. auch für die 25 Jahre vor den Dessauer Bauten
entstandene Mathildenhöhe in Darmstadt verwendet wird, beschreibt am
besten diesen Qualitätssprung zum Wohn- und Arbeitsort der Avantgarde.
Der dennoch häufig anzutreffende Terminus der Siedlung wird dieser
Dimension nur unzureichend gerecht. Die vor allem für die Doppelhäuser
übliche Benennung nach den Erstbewohnern verdeckt zudem, dass dort wenig
später u. a. mit Josef und Anni Albers, Hinnerk und Lou Scheper, Alfred
und Gertrud Arndt sowie Gunta Stölzl Vertreter der zweiten
Bauhäusler-Generation leben sollten. Schon nach dem Erstbezug der
Meisterhäuser im Sommer 1926 war eine Spannung zwischen den
residierenden Meistern und der neuen Generation von Werkstattleitern
entstanden. Ein Teil der so genannten Jungmeister startete den Versuch,
unter dem Namen BAMBOS (Abkürzung für Marcel Breuer, Josef
Albers, Hannes Meyer, Herbert Bayer, Otto Meyer-Ottens
und Joost Schmidt) in unmittelbarer Nähe zum Bauhausgebäude eine
eigene Kolonie mit von Breuer entworfenen Metallhäusern zu errichten -
ein Plan, der letztlich an der Finanzierung scheiterte. |
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Ise und Walter
Gropius mit Freunden beim Sonnenbaden auf dem Dach des Direktorenhauses,
1927 |
Was die Einzigartigkeit des
Ensembles ausmacht, lässt sich am besten mit Gropius' Worten
zusammenfassen: Die „Vereinfachung durch Multiplizierung“, von der die
Kubatur und die Details der Gebäude zeugen, sollte mit mathematischer
Konsequenz zur „Verbilligung und Beschleunigung“ des Bauprozesses
führen. Und auch das Leben und Arbeiten in den Häusern war völlig neu,
weil die „Lebensvorgänge“ nach modernen Ansprüchen „organisiert“ werden
sollten. Das alltägliche Erlebnis der räumlich-gegenständlichen
Qualitäten und die vom Grundriss bis zur technischen Ausstattung dem
Ideal der „von unnötigem Ballast" gereinigten Baus sollten den Bewohnern
ein besseres Dasein ermöglichen. Mit mehr Licht, Luft und Sonne und in
„Vermeidung von Leerlauf und Unruhe" würde es sich gesünder,
geistvoller, ökonomischer und rationeller gestalten. Diese behauptete
Funktionalität der im Äußeren sich so einheitlich gebenden Häuser stand
zum Teil in einem krassen Widerspruch zum Innenleben, das von den
individuellen Interieurs der Meister geprägt wurde.
Wie das Bauhausgebäude sind auch die Meisterhäuser nicht nur als
Architekturikonen, sondern auch als Zeugnisse einer Lebens- und
Arbeitswelt bemerkenswert. In den wenigen Jahren von 1926 bis 1933
entstanden hier tausende hochrangige Werke der bildenden Kunst und
Fotografie, selbst Teile des künstlerischen Unterrichts von Wassily
Kandinsky und Paul Klee fanden ab 1928 im intimeren Rahmen der Ateliers
statt. Und natürlich war die Kolonie auch Schauplatz eines im besten
Sinne bürgerlichen Familienlebens. Die Kinder der Meister haben sich in
späteren Berichten an die glücklichen Jahre in Dessau erinnert.
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Lageplan der
Meisterhäuser im Buch „Bauhausbauten Dessau“ von Walter Gropius, 1930 |
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Walter
Gropius(rechts) mit Belá Bartók (Mitte) und Paul Klee auf der Terasse
des Direktorenhauses 1927 |
Die Meisterhäuser avancierten schnell zu
einer Begegnungsstätte der Avantgarde. Zahlreiche Persönlichkeiten aus
Politik, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft kamen zu Besuch. Ein guter
Kontakt bestand zu den lokalen Honoratioren, vom Oberbürgermeister Fritz
Hesse über den Landeskonservator Ludwig Grote, den Generalmusikdirektor
Franz von Hoesslin und den Theaterintendanten Franz Hartmann bis hin zu
Junkers-Ingenieuren und Unternehmern.
Weitere Namen lesen sich wie ein internationales Who's who der Moderne
der 1920er Jahre: Dazu gehören die Schriftsteller
Ilja Ehrenburg
und Tadeusz
Peiper, die Tänzerin
Gret Palucca,
die bildenden Künstler
Kasimir
Malewitsch,
EI Lissitzky,
Naum Gabo,
Amadee Ozenfant,
Albert Gleizes,
George Grosz,
Marcel Duchamp,
Alfred Kubin,
die Kunsthistoriker
Adolf Behne,
Walter Dexel,
Will Grohmann,
Sigfried
Giedion,
Rudolf Arnheim,
Alois J.
Schardt,
Lu Märten, der Kunsthändler
Albert
Flechtheim, der Sammler Solomon
R. Guggenheim, der Kunstpädagoge
Hans Friedrich
Geist, die Architekten
Cornelius van
der Vlugt,
Bruno
und Max Taut,
Rudolf Häring,
Gustav Schneck,
Otto Häuser,
Rudolf Bartning,
Hendrik Petrus
Berlage,
Erich Mendelsohn,
Arkadi
Grigorewitsch Mordwinow,
Max Berg,
der Psychologe
Hans Prinzhorn, der Philosoph
Otto Neurath,
der Filmemacher
Dsiga Werthoff sowie die Komponisten
Béla Bartók
und Paul
Hindemith.
Viele dieser Besuche sind in Erinnerungen und Fotografien festgehalten.
Gret Palucca tanzte 1927 auf dem Dach des Doppelhauses Moholy-Nagy/Feininger,
im gleichen Jahr war Belá Bartók nach seinem Konzert in der Aula des
Bauhauses zu Gast im Hause Gropius. Will Grohmann diskutierte mit Paul
Klee 1930 über moderne Kunst. Und schon im Oktober 1926 führten Ise
Gropius und Julia Feininger dreißig Damen des Dessauer Hausfrauenvereins
die Zweckmäßigkeit ihrer Häuser vor. |
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Das Haus des Direktors und
die drei Doppelhäuser der Meister wurden auf einem Gelände an der damaligen
Burgkühnauer Allee (heute Ebertallee) errichtet, das im März 1925 bei einem
gemeinsamen Spaziergang des Ehepaars Walter und Ise Gropius mit dem Dessauer
Oberbürgermeister Fritz Hesse ausgewählt worden war.
Das überwiegend mit einem lichten Kiefernbestand bewachsene Areal
nordwestlich der Altstadt von Dessau liegt auf einer hochwasserfreien
Erhebung im eiszeitlich geprägten Urstromtal der Elbe. Es gehörte zu den
Gütern der anhaltischen Herzöge, bevor es die Stadt nach 1900 erwarb. Der
Name Allee verweist darauf, dass der Weg im Rahmen des Reformwerks von Fürst
Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt ab Ende des 18. Jahrhunderts als
Sichtachse zwischen den „Sieben Säulen“ - einer verkleinerten Kopie der
Ruine des antiken Saturntempels auf dem Forum Romanum - und dem Amaliensitz
- einem klassizistischen Bauwerk von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff auf
dem Weg zum nächsten Garten im Dessauer Stadtteil Kühnau - gestaltet wurde.
Unweit der Meisterhäuser war zudem seit 1919 eine Reihe von
Gartenstadtsiedlungen entstanden.
Gropius setzte seine Architektur also in unmittelbaren Kontrast zu dem
vorhandenen Baumbestand wie zur Allee. In seinem Buch über die Dessauer
Bauhausbauten bezeichnete er 1930 diese Idee als „Einweben von Baum- und
Pflanzenwuchs zwischen die Baukörper“, das zugleich „Spannungen und Maßstab“
schaffen sollte. |
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Konzept, Entwurf, Bautechnik und Bauzeit der Meisterhäuser stehen im engsten
Zusammenhang mit dem Bauhausgebäude. Walter Gropius wollte „den klaren
organischen Bauleib schaffen, nackt und strahlend... (...) ..., der seinen
Sinn und Zweck aus sich selbst heraus durch die Spannung seiner Baumassen
zueinander funktionell verdeutlicht und alles Entbehrliche abstößt, das die
absolute Gestalt des Baues verschleiert“.
Dabei wandte er sich mit seiner als „Wesensforschung“ bezeichneten Methode
nicht nur von tradierten Regeln ab, sondern zielte auf das Leben ihrer
Bewohner. Bauen hieß für Gropius „Gestalten von Lebensvorgängen“ und wurde
von ihm 1930 anhand von Fotografien der Meisterhäuser so beschrieben: „Der
Organismus eines Hauses ergibt sich aus dem Verlauf der Vorgänge, die sich
in ihm abspielen ...“ |