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Die wie eine alabasterne Statue wirkende Gestalt der Liebesgöttin wird
flankiert von insgesamt drei bewegten Figuren. In der linken Bildhälfte
schweben im Fluge zwei teils nackte, teils mit leichten flatternden
Gewändern bekleidete Figuren heran. Die zuvorderst plazierte Gestalt ist
männlichen, die andere weiblichen Geschlechts. Sie umschlingen einander,
wobei allem Anschein nach nur der Mann Flügel trägt. Es handelt sich bei dem
jungen Mann, so die wahrscheinlichste Deutungsvariante, um Zephyr, den
wärmenden Frühlingswind. Mit aufgeblasenen Backen erzeugt er einen
Luftstrom, dessen Richtung Botticelli mit einigen zarten Pinselstrichen
andeutet. Bei der weiblichen Gestalt an seiner Seite handelt es sich
entweder um Chloris, seine Gattin, oder eher noch um die Personifikation
eines schwächeren Windes, einer sanften Brise (Aura, aus deren geöffnetem
Mund ein leiser Lufthauch entweicht. Auch wenn die Identität der beiden
Figuren nicht mit absoluter Sicherheit bestimmt werden kann, so ist doch die
Funktion der beiden Figuren im Bild eindeutig dargestellt, sie erzeugen den
Wind, dessen Kraft das Gefährt der Venus auf die Küste zutreiben lässt.
Auf der anderen, dem Land zugewandten Seite des Bildes erwartet eine weiß
gekleidete weibliche Gestalt die Ankunft der Venus, ja sie empfängt dort
geradezu die Göttin mit einer einladenden Geste ihres rechten Armes und
einem in die Höhe gehaltenen roten Tuch. Dieses Tuch ist mit zahlreichen
Gänseblümchen geschmückt, ihr weißes Gewand mit blau erblühten Kornblumen,
ihre Hüfte umschlingt ein Kranz mit mehreren Rosen, und um ihren Hals ranken
sich mehrere Myrtenzweige. Es mag sich bei dieser Figur um eine Göttin der
Jahreszeiten, namentlich um die Hore des Sommers handeln, da die Kornblumen
und Rosen zu Beginn des Sommers und die Gänseblümchen fast während der
gesamten warmen Jahreszeit blühen." Im Rücken dieser Hore erstreckt sich
direkt am Ufer des Meeres der Ausläufer eines Orangenhaines, dahinter
verläuft eine von kleinen Buchten gesäumte Küste. Die drei Orangenbäume des
Wäldchens tragen mit goldenen Rippen versehene Blätter und - kaum sichtbar -
geöffnete Blüten, weisen aber keine Früchte auf, wie die Bäume im Bild der
Primavera. In auffälligem Gegensatz zum üppigen floralen Schmuck der Hore
steht also der vegetationsarme Küstenstreifen, der sogar, unten rechts im
Bild, auf felsigem Grund zu liegen scheint. Die deutlich hervorgehobene
Kargheit des Ufers wurde bewusst vom Maler so angelegt. Er orientiert sich
hierbei an Hesiods »Theogonie«.
Hesiod schreibt, dass erst in dem Moment, in dem Venus das Land betritt,
dort Blumen erblühen und somit die Vegetation zum Leben erwacht. Botticelli
stellt also nicht allein das Motiv der Ankunft der Venus dar, sondern noch
präziser jenen Augenblick unmittelbar vor dem Betreten der Küste Zyperns.
Der eigentlich dargestellte Inhalt des Bildes basiert wie schon bei der
Primavera auf der Kenntnis literarischer Vorlagen, die eine ähnliche
Situation beschreiben, nämlich die Ankunft der Venus, wie sie auf einer
Muschel über das Meer herangleitet, getrieben von dem Wind Zephyr und am
Ufer von den Horen empfangen. Besonders ein Abschnitt aus den Homerischen
Hymnen hat den Kern der Bildgestaltung Botticellis inspiriert, denn dort
wird im Detail die Ankunft der Aphrodite (in der römischen Nomenklatur
Venus) beschrieben:»Singen will ich von Aphrodite,
der Züchtigen, Schönen, golden Bekränzten. Das meerumflossene Kypros ward
ganz ihr, samt seinen Zinnen verliehen.
In schmiegsamen Schäumen entführt sie Zephyrs, des feuchten Brausers,
Kraft auf der Woge des immer rauschenden Meeres.
Da nahmen die Horen mit goldenem Stirnreif grüßend sie auf und hüllten sie
ein
in unsterbliche Kleider ...«
Wie bereits in Botticellis Gemälde Mars und Venus entspricht die
Bildgestalt nur im Gesamtarrangement der zitierten Beschreibung, denn im
Hymnus selbst empfangen gleich mehrere Horen die Göttin der Liebe, während
Botticelli nur eine von ihnen darstellt. Den entsprechenden Abschnitt aus
den Hometischen Hymnen ebenso so wie die Zeilen aus Hesiods
»Theogonie«
dürfte Botticelli vom Hofdichter der Medici, Angelo Polizian, vermittelt
bekommen haben, wahrscheinlich in Form einer italienischen Übersetzung.
Polizian selbst hatte bereits in seinen »Stanze
per la Giostra« (1476-1478) den oben
zitierten Passus aus den Hymnen verarbeitet und dort die Meeresfahrt der
Venus ausführlich beschrieben. Von einigen Details dieser Beschreibung ließ
sich Botticelli inspirieren, so zum Beispiel, um eine Muschel in seine
Gestaltung aufzunehmen, die als Gefährt der Venus bei Polizian auftaucht und
in den Homerischen Hymnen gänzlich fehlt. Diese Muschel war dem Dichter und
seinen Zeitgenossen vermutlich aus der antiken Kleinkunst bekannt sowie aus
älteren Schriftquellen, wo sie generell als Pisano die Venus pudica als
formales Vorbild für die Temperantia (Mäßigkeit) unterhalb der Pisaner
Domkanzel genommen. Allerdings variiert Botticelli diesen Typus: Seine Venus
hält in der linken Hand den üppigen Strang ihres langen Haares, während
dieses Motiv im antiken Vorbild fehlt. Diese Ergänzung nahm der Künstler in
Obereinstimmung mit Polizian vor, in dessen Stanze ebenso wie in den
griechischen Quellen (der »Anthologia Graeca«)
das genannte Motiv auftaucht.
Botticelli bediente sich also erhaltener antiker Kunstwerke und
literarischer Quellen des Altertums und berücksichtigte auch die Dichtungen
seines poetischen Ratgebers Polizian. Allerdings existierte für die
Darstellung des eigentlichen Geschehens, für die Ankunft der Venus und für
ihre Assistenzfiguren im 15. Jahrhundert keine verwertbare Bildtradition.
Daher griff der Künstler auch in diesem Werk, ähnlich wie in der Primavera,
auf ein formales Bildschema zurück, das mit der Geschichte der Venus in
keiner inhaltlichen Verbindung steht. Tatsächlich entspricht Botticellis
Anordnung der Venus und der rechts neben ihr plazierten Hore dem
Arrangement, das in der italienischen Malerei des 15. Jahrhunderts für die
Taufe Christi verbreitet war. Ähnlich wie Venus im Gemälde Botticellis
verharrt Christus in der Darstellung seiner Taufe vergleichsweise unbewegt
in der Bildmitte, die Hore des Sommers gleicht mit ihrem Schrittmotiv und
dem weit ausgreifenden rechten Arm der Stellung Johannes des Täufers.
Die bisherigen Beobachtungen lassen bereits vermuten, dass es dem Künstler
und dem Auftraggeber besonders auf die Darstellung eines Moments ankam, auf
die Ankunft der Venus und nicht auf deren Geburt. Bemerkenswert sind in
diesem Zusammenhang auch die Rosen, die links von den Winden aufgewirbelt
und über das Meer ausgestreut werden. In ihnen darf man die Rosen der Venus
und der triumphierenden Liebe erkennen, wie sie in der griechischen Poesie,
etwa bei Anacreon und in anderen Quellen, beschrieben werden. In Hesiods »Theogonie«
lesen wir zudem, dass Venus (Aphrodite) ihre Existenz einem Akt grausamer
Gewalt verdanke. ►Saturn
hatte auf Geheiß seiner Mutter seinen eigenen Vater Uranos beim Liebesspiel
überrascht und entmannt; um die danach ins Meer geworfenen Geschlechtsteile
bildete sich ein gewaltiger Schaum, aus dem schließlich die Göttin der
Liebe, Venus, geboren wurde. Während dieser denkwürdigen Schaumgeburt auf
dem Meer wuchs auf dem Lande ein Rosenstrauch, ein florales Äquivalent der
im selben Moment dem Meer entsprungenen Göttin der Liebe, deren symbolische
Blume die Rose fortan sein sollte. Dieser unmittelbar mit der Geburt der
Venus in Zusammenhang stehende Rosenstrauch erblühte schließlich genau zu
dem Zeitpunkt, als die Göttin der Liebe die Küste erreichte.`
Ein weiteres für das Motiv der Ankunft signifikantes Bildelement hat
Botticelli in Gestalt einer eher einsam vor sich hinvegetierenden Pflanze
angebracht: Am unteren Bildrand befindet sich zwischen den Füßen der Hore
eine Anemone, die seit antiker Zeit als Blume des Windes bekannt war und im
Frühling erblüht. Der Sage nach öffnet sich diese Blume nur, wenn der Wind
bläst.'] Die Anemone zu Füßen der Frühlingshore taucht also ganz bewusst
hier auf, denn es weht ja tatsächlich eine steife Brise von Zephyr und
seiner Gefährtin herüber. Von diesem kräftigen Wind werden jene Rosen
herangetragen, die der bereits zitierten Überlieferung zufolge erblühten,
als die Göttin der Liebe das Ufer erreichte. Auch mit der Darstellung der
Anemone betont Botticelli also die Ankunft der Venus.
Im Bild der Venus fällt wie schon in der Primavera die genau kalkulierte
Bildgestaltung Botticellis au£ Die Anemone setzte der Künstler nicht
zufällig in sein Bild, ebensowenig wie die Orangenbäume und ein weiteres
Detail, das überhaupt noch keine überzeugende Deutung gefunden hat und
gerade deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. In der linken
unteren Bildecke, dort wo das Wasser des Meeres sowohl an den Bildrand als
auch an einen Streifen der Küste stößt, befinden sich mehrere
Rohrkolbengewächse, »typha latifolia«, in der botanisch korrekten
Bezeichnung, damals noch als »arundo« bekannt, heute im Deutschen auch als
Lampenputzer und im englischen als »bullrush« bezeichnet. Dieses Rohrgewächs
trägt auf dem Bild insgesamt vier Kolben, Frucht- oder Samenstände, wie die
Botaniker sagen, gefüllt mit den Samen der Pflanze, der durch den Wind aus
den aufplatzenden Kolben getrieben und weit über Wasser und Land verteilt
werden soll - so die dem ganzen zugrunde liegende Idee der Natur, die auf
diese Weise für die Vermehrung der Rohrkolben sorgt. Allerdings hat dieser
Pflanzentyp am Gestade des Meeres eigentlich nichts zu suchen. Die
Rohrkolben sind Süßwassergewächse, sie gedeihen in Binnengewässern oder
allenfalls noch in Brackwasser, auf keinen Fall aber im salzigen Meerwasser,
aus dem Venus geboren wurde und auf dem sie auch im Gemälde Botticellis der
Küste entgegen treibt. Als im botanischen Sinne hier deplazierte Pflanzen
bedürfen sie also einer Erklärung, zumal man angesichts der durchdachten
Detailgestaltung der mythologischen Gemälde Botticellis an eine zufällige
Darstellung dieser Pflanzenart nicht glauben mag.
Für Rohrkolbengewächse auf mythologischen Gemälden existierte gegen Ende des
15. Jahrhunderts noch keine ikonographische Tradition, »typha latifolia« ist
lediglich aus dem Bereich der christlichen Bilderwelt bekannt, vor allem aus
Darstellungen der Taufe Christi. Sie könnte also bei der Obernahme dieses
Bildschemas mit in die Venusdarstellung hinübergekommen sein. Abgesehen von
dieser eher oberflächlichen Erklärung gibt es noch zwei weitere Gründe für
das Auftauchen der Rohrkolben in Botticellis Gemälde. Zum einen erinnert
diese Pflanze an die näheren Umstände der vorausgegangenen Geburt der Venus,
wie sie Polizian sehr subtil in seinen Stanzen andeutet:
»In der stürmischen Ägäis im Schoß der Thetis Sieht man empfangen das Rohr
der Zeugung.«
Der Dichter beschreibt hier also nicht unmittelbar die Entmannung des Uranos,
sondern erwähnt lediglich dessen nach der Kastration ins Meer gefallenes
Geschlechtsteil, den »fusto genitale«. Polizians Wortwahl ist bezeichnend.
Das Substantiv »fusto« benennt im Italienischen sowohl Stengel von Pflanzen
als auch das Schilfrohr, während mit dem lateinischen Ursprungswort »fustis«
ein Knüppel oder Stock gemeint ist. Der Dichter deutet also mit seiner
Formulierung das noch erigierte Geschlechtsteil des Uranos an, und es ist
anzunehmen, dass Botticellis Rohrkolben als Reminiszenzen dieser phallischen
Anspielung entstanden sind.
Phallische Assoziationen des Rohrkolbens in Botticellis Gemälde, die
vielleicht durch Polizians Wortwahl inspiriert worden waren, finden sich
auch in anderen Quellen. Neben den literarischen Belegen zu den erotischen
Konnotationen des Rohrkolbens existiert auch eine Bildtradition, in der das
Rohrkolbengewächs in einem solchen Zusammenhang auftaucht. So hat Leonardo
da Vinci in den 90er Jahren des 15. oder im ersten Jahrzehnt des 16.
Jahrhunderts eine Bildkomposition geschaffen, die das klassische erotische
Thema von »Leda mit dem Schwan« zeigt. Diese Komposition ist vor allem durch
mehrere Nachschöpfungen aus der Leonardoschule bekannt, so zum Beispiel
durch ein in der Pembrokesammlung in Salisbury verwahrtes Ölgemälde. Aber
auch eine eigenhändige Zeichnung Leonardos bildet Leda und den Schwan
zusammen mit den Rohrkolben ab .'6 Ohne Zweifel handelt es sich sowohl im
Gemälde als auch auf der Zeichnung um Darstellungen erotischer Natur, denn
Leda empfängt den brünftigen Gott Zeus (Jupiter, der sich ihr in Gestalt
eines Schwanes nähert, um dann mit ihr die Kinder zu zeugen. Diese Kinder,
Pollux und Helena sowie, in einer anderen Variante der antiken
Überlieferung, auch noch Kastor und Clythemnestra", finden sich ebenfalls
abgebildet, quasi in einer bildlichen Vorwegnahme der nicht direkt
dargestellten, sondern nur angedeuteten geschlechtlichen Vereinigung von
Leda und dem als Schwan getarnten Zeus/Jupiter. Die Anwesenheit der
Rohrkolben in dieser Darstellung dürfte also eindeutig erotisch motiviert
gewesen sein, sie ist ebenso eine Anspielung auf das erigierte männliche
Geschlechtsteil, wie die Begegnung von Leda mit dem Schwan eine Anspielung
auf den Geschlechtsakt selbst darstellt. Wir können angesichts der durch
Leonardo verbürgten Bildtradition eine ähnliche Intention auch für
Botticellis Gemälde mit der Ankunft der Venus annehmen, wo die Rohrkolben
ebenfalls als erotische Symbole auftauchen.
Aufgrund der kaum verhüllt dargestellten Nacktheit der Venus und der
Deutungsmöglichkeiten, die sich an die Rohrkolben und auch an die Muschel
knüpfen, kann die so genannte Geburt der Venus eher noch als die Primavera
als ein erotisches Gemälde gelten. Doch bleibt die Interpretation des Bildes
ohne genaue Kenntnis seines ursprünglichen Entstehungszusammenhangs
letztlich unvollständig - zu vieldeutig sind einzelne Bildelemente.
Eindeutig ist lediglich der Umstand, dass Botticelli in seinem Bild nicht
die Geburt, sondern die Ankunft der Venus thematisiert, was sich besonders
in den Winden, die Venus an Land treiben, der erblühenden Anemone und in den
durch die Luft gewirbelten Rosen zeigt. Ebenso eindeutig betont der Maler
das Motiv des Empfangs durch die Hore, denn deren weit ausholender Gestus
des Willkommens dominiert die gesamte rechte Bildhälfte und bildet zudem den
Abschluss der im Gemälde angelegten Bewegung von links nach rechts. Großen
Wert legten Botticelli, sein Berater und der Auftraggeber offenbar auch auf
eine sehr präzise zeitliche Bestimmung des dargestellten Augenblicks der
Ankunft: den Moment unmittelbar vor der Landung der Göttin an den Küste.
Die meisten mythologischen Tafel- und Leinwandbilder des 15. Jahrhunderts in
Florenz verdankten ihre Entstehung einem prominenten Anlass, oft einer
Hochzeit. Das Thema von Botticellis Geburt der Venus könnte daher auf
Ereignisse aus der Auftraggeberfamilie zu beziehen sein, so zum Beispiel,
wie jüngst vorgeschlagen wurde, auf eine Geburt? Angesichts der erotischen
Elemente des Bildes mag man aber eher an die erhoffte Ankunft einer jungen
Frau, etwa der Braut, im Hause des Bräutigams denken. Möglicherweise handelt
es sich um ein werbendes Bild, das während der Hochzeitsverhandlungen
angefertigt wurde, um die Einwilligung der Braut oder ihrer Familie zu
beschleunigen. In diesem Sinne könnte die Geburt der Venus ebenfalls im
Umfeld der bereits genannten Hochzeit des Lorenzo di Pierfrancesco de'
Medici entstanden sein oder für eine spätere Feier dieser Art, zum Beispiel
für die Vermählung Piero de' Medicis mit Alfonsina Orsini 1488 oder im
Vorfeld der Vermählung Giovanni de' Medicis mit Caterina Sforza 1497.
Allerdings bleiben diese Deutungsansätze spekulativ, solange nicht die
näheren Umstände der genannten Ereignisse glaubwürdig mit der Bestellung des
Bildes in Verbindung gebracht werden können. In jedem Fall aber sollte das
Motiv der Ankunft, das in Botticellis Bild mehrfach betont wird, in
Verbindung mit einem konkreten Ereignis gebracht werden. Weitere
Nachforschungen in diese Richtung dürften für eine vollständige Deutung von
Botticellis Geburt der Venus ausschlaggebend sein. |